Schlaflose Tage ist das Buch einer Midlifecrisis als auch das Sittenbild eines verfallenden Staates, der eine von seinen Menschen losgelöste Existenz führt. Simrock, der 36jährige Protagonist, Lehrer, verheiratet, aufgehoben in einer sicheren, aber streng reglementierten Welt, wird von des "Gedankens Blässe angekränkelt", beginnt sowohl an seinem persönlichen Lebensentwurf als auch am gesellschaftlichen Konzept zu zweifeln. Ein Zweifel, für den kein Platz ist, nicht in der Ehe, nicht in der Schule; überall wird als Gegenleistung für die gewährte Sicherheit reibungsloses Funktionieren erwartet.

Simrock holt mit 20jähriger Verspätung die Rebellion seiner Jugend nach, er hinterfragt, sucht seine eigene fragwürdige Haltung, seine Lächerlichkeit zu ergründen. Und wirkt dabei immer ein wenig hilflos, an seinen Handlungen haftet ein beträchtliches Maß an Aktionismus, er ist weniger bemüht, den Problemen auf den Grund zu gehen, sie zu lösen, denn sich von ihnen zu trennen. Paradigmatisch für dieses Verhalten seine Ehescheidung, der Schlussstrich unter die Beziehung das Eingeständnis kommunikativer Unfähigkeit; sein Entschluss, in den Ferien körperliche Arbeit zu verrichten, um "für alle Fälle" gewappnet zu sein, scheint von einem ebensolchen Aktionismus getragen. Im Grunde spürt er nur, dass ein bloßes "so weiter" nicht möglich ist, nicht erträglich - und angesichts eines schon zur Hälfte gelebten Lebens drängt die Zeit.

Immer noch aber hängt er idealistischen Vorstellungen nach, ertappt sich dabei, pseudorevolutionäre Phrasen von sich zu geben, hofft auf die Möglichkeit systemimmanenter Kritik. Doch der vereitelte Fluchtversuch seiner Freundin, seine Entlassung nach einem Eklat in der Schule, der bloß in einigen kritischen Fragen an einen Berufsoffizier besteht, beweisen ihm die Sinnlosigkeit solcher Versuche. Engültiger Schlusspunkt ist das Angebot der Schulbehörde, ihn wieder in den Dienst aufzunehmen, eine Entschuldigung seinerseits vorausgesetzt, auf die er nach Augenblicken des Erstaunens und der Enttäuschung antwortet: "Wie können Sie hoffen, ich entschuldige mich für ein Unrecht, das man mir zugefügt hat? Wie können Sie von mir erwarten, daß ich Dankbarkeit für eine Demütigung aufbringe? Und vor allem: Wie können Sie sich einen Lehrer wünschen, der auf solche Angebote einzugehen bereit ist?"

Der Roman versteht es, das Bedrückende, Einschränkende eines repressiven Regimes zu vermitteln, den überall spürbaren mehr-weniger sanften Druck, nur als funktionierendes Rädchen des Gesamtsystems Lebensberechtigung zu besitzen. Aber er wirkt in der Darstellung Simrocks oft spröde, die Selbstgespräche und Dialoge erscheinen konstruiert und nicht von jener Eingängigkeit, die ansonsten die Romane Beckers auszeichnet. Die Lebenskrise der Hauptperson ist allzu augenscheinlich der Vorwand für die Beschreibung des Gesellschaftssystems - und so bleibt Simrock oft blass, ein wenig unverständlich, seine Instrumentalisierung für die Darstellung einer Kritik am Staate ist zu offenkundig. Die Trennung von seiner Familie, seiner Tochter bleiben weitgehend unreflektiert, während die Person seiner neuen Lebensgefährtin schon ihrer Rolle als Republiksflüchtling wegen sehr viel konturierter gezeichnet wird. Und so wünscht man sich, dass Becker auf den emotionalen, zweifelnden Hintergrund der Privatperson Simrocks mehr Augenmerk gelegt hätte. Aber allemal eine Lektüre wert.

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lg

orzifar